Wie wir Menschen können auch Seen unter einer Vielzahl von gesundheitlichen Störungen leiden: von hohen Temperaturen über Probleme mit dem Kreislauf, der Atmung, Ernährung oder dem Stoffwechsel bis hin zu Infektionen und Vergiftungen. Darauf weisen Forscherinnen und Forscher unter Leitung der schwedischen Universität Uppsala und mit Beteiligung des IGB in einer aktuellen Studie hin. Um Seen vor chronischen Leiden und bedrohlichen Zuständen zu schützen und sie zu heilen, sollten ähnliche Strategien wie in der menschlichen Gesundheitsversorgung angewandt werden: Prophylaxe, regelmäßiges Screening, Behandlung und Schadensbegrenzung auf lokaler bis globaler Ebene.
Weltweit gibt es 1,4 Millionen Seen, deren Oberfläche größer als 10 Hektar ist. Rund 12 Prozent der gesamten Weltbevölkerung leben in einem Umkreis von 3 Kilometern um diese Seen und nutzen sie zur Trinkwassergewinnung, für die Fischerei, zur Erholung oder für den Tourismus. Diese wichtigen Funktionen können Seen am besten für den Menschen erfüllen, wenn sie in einem guten Gesundheitszustand sind.
In einer aktuellen Studie schlagen Forschende vor, die Terminologie und die Ansätze des menschlichen Gesundheitswesens zu nutzen, um den Zustand der globalen Seesysteme zu bewerten. So könnten Seen mit mehreren Gesundheitsproblemen als "multimorbide" bezeichnet werden, und regelmäßige Untersuchungen, ähnlich wie beim Menschen, könnten helfen, Probleme in Seen frühzeitig zu erkennen. „Die Analogien verdeutlichen, dass Seen lebendige Systeme sind, die Sauerstoff, sauberes Wasser und eine ausgewogene Energie- und Nährstoffversorgung benötigen“, sagt Dr. Gesa Weyhenmeyer, Wissenschaftlerin an der Universität Uppsala und Erstautorin der Studie.
Das Team nutzte die Daten von LakeATLAS des globalen Kompendiums HydroATLAS von etwa 1,4 Millionen Seen weltweit, um Störungen des Kreislaufs (wie Austrocknung), des Stoffwechsels (wie Versauerung und Versalzung), der Ernährung (wie Nährstoffüberschuss) und der Atmung (wie Sauerstoffmangel) sowie andere Beeinträchtigungen zu untersuchen.
Bewertung des Gesundheitszustands mithilfe von Referenzbedingungen
Doch wann ist ein See gesund – oder krank? Viele Länder haben in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte bei der Bewertung des Gesundheitszustandes ihrer Binnengewässer gemacht. Es gibt Ansätze, wie z.B. die Europäische Wasserrahmenrichtlinie, diese Bewertungen länderübergreifend zu harmonisieren.
Ein zentrales Konzept ist dabei der Vergleich der aktuellen Situation mit Referenzbedingungen, die häufig als Bedingungen ohne oder mit nur geringem menschlichem Einfluss definiert werden. „Der Ansatz zur Bewertung von Abweichungen von den Referenzbedingungen ähnelt der Praxis im Gesundheitsbereich. Bislang gibt es jedoch kein einfaches globales System, um den Gesundheitszustand von Seen zu klassifizieren“, sagt Dr. Sabine Hilt, Wissenschaftlerin am IGB und Mitautorin der Studie.
Typische Krankheiten, an denen Seen heute auf der ganzen Welt leiden
1 Schwere Kreislaufprobleme: ausgetrocknet
Unter Kreislauf versteht man bei Seen die Verfügbarkeit und Dynamik von Wasser. Ein ernsthaftes Kreislaufproblem mit zahlreichen Kaskadeneffekten für die Gesundheit der Seen stellt die Austrocknung dar. Die Forschenden schätzen, dass rund 115.000 Seen weltweit doppelt so viel Wasser verdunsten, wie sie durch direkte Niederschläge erhalten. Das macht sie insbesondere dann anfällig für eine Austrocknung, wenn die Zuflüsse ebenfalls austrocknen. Dies gefährdet mehr als 153 Millionen Menschen, die in der Nähe dieser Seen leben.